Otto
Beck

Scotch Meier 

Bemerkungen über Rituale und Liturgien

Ich bekreuzige mich
Vor jeder kirche
Ich bezwetschkige mich
Vor jedem obstgarten
Wie ich ersteres tue
Weiß jeder katholik
Wie ich letzteres tue
Ich allein
(Ernst Jandl)


 Der Salzburger Otto Beck verwendet als Bezeichnung seiner Inszenierungen und Objekte im öffentlichen Raum das Wort Liturgie. Damit bezieht er sich auf die altgriechische„leitourgia“, den Dienst an und in der demokratischen Öffentlichkeit
Wenn man üblicherweise von Liturgie oder Ritual hört, fallen einem meist fast automatisch „leer“ oder „langweilig“ ein. Da erwartet man nichts Neues,
Überraschendes, Schockierendes, da ist ja alles festgelegt, und Rituale brauchen und wollen wir doch in unserem anstrengenden aber langweiligen Leben, zum festhalten! Rituale, Liturgien laden zum beruhigenden Schlafen ein. Man mag dabei streiten, was erholsamer ist, die Kirchenschlaf oder der Theaterschlaf.
Aber die Vorstellung, das Leben vollzöge sich nur als Abfolge von
Vorhersagbarkeiten, ist natürlich schrecklich.
Dabei haben Liturgien mit ihrer Folge von festgelegten Ritualen auch ihr stilles Gutes. Man muss nicht wirklich glauben, um sicher zu sein, dass im
Gottesdienst Wichtiges geschieht (Gegenwart Gottes, Vergebung der Sünden usw.) Das hat sich in Jahrhunderte langer Gleichförmigkeit bis heute vollzogen: in der Liturgie. Jeden Sonntag dieselbe Abfolge der Handlungen des Gottesdienstes. Jede Religion braucht einen Handlungsablauf für Zusammenkünfte, Gottesdienste, der mit religiöser Zielsetzung genauen Regeln einer festgelegten Ordnung folgt. Das ergibt die gruppendynamische, die massenpsychologische Sicherheit, vielleicht sogar das persönliche Erlebnis. Ich habe vielleicht nichts wirklich verstanden von der Predigt, von der Liturgie (den Formen des vollzogenen Gottesdienstes) habe ich nichts Ungewöhnliches bemerkt, ich war einfach dabei, es wurde an mir vollzogen.
Haben Liturgien also eine geheime Kraft?
Der amerikanische Soziologe Robert.K. Merton hat über den „Regenzauber“ der in einer Wüste lebenden Hopi Indianern geforscht. Ihn
interessierte ihr wichtigsten Ritual. Um die regelmäßigen, bedrohlichen Dürren abzuwenden, haben sie sich seit alters her und von weit herkommend versammelt, um die Liturgie des Großen Regenzaubers zu veranstalten.
Tagelang wurde getrommelt getanzt, gebetet. Seit uralter Zeit wurde der Zauber wiederholt.
Nur - danach hat es sehr selten, fast nie geregnet. Warum also haben die Indianer an dem Ritus des Großen Regenzaubers festgehalten, wo er doch nicht erfolgreich war? Was war der wirkliche Grund für das Festhalten am Regenzauber?
Er lieferte einen Grund, dass sich alle(!) in dem dünn besiedelten Gebiet treffen, Kontakte pflegen, Nachrichten austauschen, Geschäfte machen. Nur wegen der Regelung dieser Dinge hätte sich kaum jemand auf den Weg gemacht. Dazu braucht man das Große Ereignis, die Zusammenkunft einen Rahmen mit einem übergeordnetem Sinn.
Bei uns war(ist?) es in konservativen Kreisen auch so, dass man sonntags in die Kirche geht, damit man danach im Wirtshaus Politik oder Geschäfte oder sonstiges, die Frauen wieder anderes machen können.
Bei der Jugend sind Veranstaltungen wie die „loveparade“ in Berlin eine Zeit lang beliebt gewesen.“ Inhaltlich“, rituell entspricht stundenlanges Tanzen mit lautem Rhythmus übrigens gewissen Heilmethoden bei der Geisteraustreibung der alten Ägypter. Auch der Konsum von Drogen. Die loveparade galt offiziell als politische Demonstration, aber das war wegen der späteren Reinigungskosten. Liturgie, Ritual, sex, drugs, laute Maschinenmusik. Ichfindung und Ichauflösung bis zur Erschöpfung. Die Teilnahme von Jugendlichen in überwältigender Zahl bei Kirchengroßereignissen folgt ähnlichen Mustern und Motiven. Liturgien haben innere Regeln wie jede Kunstform, am meisten haben sie selbstverständlich mit dem Theater gemeinsam.
Ein Beispiel: eine Theateraufführung wird umso besser sein, je genauer die Einstimmungsphase ist zwischen - Lichtaus- Pause-Pause-Pause-Pause ,jetzt geht es los... Oder, kaum sitzen die ersten, da knallt`s auch schon… Alles geplant als Teil einer profanen Liturgie. Liturgie ist aber mehr als Mitmachtheater (es gibt eine Theorie der Verwendung des Publikums, das Chaos kann gerade deshalb stattfinden, weil der Rahmen abgesprochen ist) Liturgie kann Zuschauer gebrauchen und verwerten für ein Thema.
Die Zuschauer nehmen an einem zeitlich begrenzten „ wirklichen“ Leben teil.
Liturgie im profanen Sinn schafft Raum und Zeit für Dissens, Emotion, Empathie, Differenz.
Die angestrebte Optik bei Otto Becks Liturgien ist die breit gemalte Weltlandschaft, in der Chaos und Regel aus einer etwas höheren Perspektive betrachtet werden.