Bei der Analyse der übersprudelnden Worte des Salzburger Malers und Aktionskünstlers Otto Beck stellt sich die Frage, ob man seinen überschlagenden und inspirierenden Gedankengängen und deren materiellen Umsetzungen überhaupt eine Form geben kann. Seine Gedanken und Worte irisieren, fluktuieren, blitzen auf wie Feuerwerke, springen von da nach dort, gleichen dem „Apeiron" des griechischen Philosophen Anaximander (um 610-546 v.Chr.), das jenem weißen Rauschen auf einem TV-Bildschirm entspricht, das zeitgeistig als verbildlichte Quantenfluktuation angesehen wird. Wie bei Otto Becks Wortkaskaden ist alles zugleich vorhanden, doch nichts Begrifflich-Fassbares ist existent. All seine Gedankenüberschläge sind am ehesten urban-ästhetischen Interventionen ohne Zweck zuzuordnen, die seit den frühen 1960er Jahren den Kunstmarkt irritieren, vom Gedankengut des ZEN genährt, als Neo-Dada bezeichnet werden und unter dem Begriff FLUXUS spezifiziert werden.
Und ... Otto Beck ist nur mehrdimensional zu verstehen.
Um sein Tun nachvollziehbar werden zu lassen, beziehe ich mich auf den wichtigsten Impuls seiner ästhetischen Welt — auf die situationistische Malerei und auf FLUXUS. FLUXUS ist aber weder Kunst noch Antikunst, ist flüchtig und zwingend zugleich, ist etwas, wo man denken muss und trotzdem heiter sein darf, wenn der Künstler vom Produzenten schöner Wohnzimmerbilder oder kunstmarktorientierter Produkte zum Muntermacher, zum Clown, Philosophen oder Geistlichen einer neuen Ästhetik konvertiert. Am besten umschreibt man FLUXUS als eine gesellschaftsrelevante Intervention mit dem Anschein eines Zwecks. Eine, die gesellschaftliche Zusammenhänge selektiert, aufgespürte Relikte, Versatzstücke der Wirklichkeit seziert, deren Funktionen bewusst macht, sie mit neuer Bedeutung versieht, zu Neuem montiert, eventuell in Frage stellt, wobei die überraschende Wendung, die oft witzige Peripetie, nicht zu kurz kommt. FLUXUS ist, wie Otto Beck, nicht wirklich einordbar und erklärbar. Es handelt sich dabei um eine inhomogene Haltung, die ALLE Bereiche des Lebens betrifft — wahrscheinlich ist deshalb FLUXUS Philosophie. Als Erfinder von FLUXUS wird George Maciunas (1931-1978) angesehen, der im Rahmen seines Militärdienstes von 1944 bis 1948 in Deutschland stationiert war und von 1961 bis 1963 abermals dort lebte. In New York studierte er bildende Kunst, Graphik, Architektur, Musikwissenschaften und besuchte die Kompositionsklasse von Richard Maxfield (1927-1969), der sich mit elektronischen Musik beschäftigte und entsprechende Instrumente erfand. Ab 1960 kooperierte er mit Komponistinnen und KünstlerInnen aus dem Umfeld der Experimentalmusik-Klasse von John Cage am Black Mountain College, North Carolina.
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John Cage (1912-1992)
FLUXUS ist ohne John Cage schwer vorstellbar. Seine Lehrer waren u.a. 1933 Henry Cowell und von 1935 bis 1937 Arnold Schönberg, er studierte indische Philosophie und den Zen-Buddhismus und war einer der wichtigen Impulsgeber von FLUXUS und Wegbereiter der aleatorischen Musik,' die als Grundlage seiner ersten, 1951 entstandenen Kompositionen angesehen werden kann. Zu seinem Bekanntenkreis zählten u.a. Karlheinz Stockhausen, André Breton, Piet Mondrian, Marcel Duchamp, und er komponierte 1943 eine Sequenz für Hans Richters Film „Dreams That Money Can Buy". 1952 hatte er einen Lehrauftrag am Black Mountain College und inszenierte eine Aktion, der er den Namen „Untitled Event" gab. Er gab in einer Spielanweisung vor, wann wer etwas spielen oder still sein soll-te. Zur Illustration gehe ich auf ein spezielles Werk ein. Es wurde 1952 uraufgeführt und trug den Titel „4:33", wobei der Ablauf nicht programmiert und die Instrumentierung beliebig war. 2016, bei einem BravDa-Salon im Wiener Palais Palffy, setzte sich, natürlich mit Hut, Otto Beck ans Klavier, und alle Zuhörerinnen lauschten. Die Dauer der drei Sätze mit der Anweisung „Tacet", also „Stille!" wurde von Cage gemäß dem I Ging ermittelt und dauerte so lange, wie es der Titel vorgab: also vier Minuten und 33 Sekunden. Die Zeit der „Stille", des Nichttuns löste das Publikum und den Akteur aus der Hektik des Tuenden heraus, und er geriet zum Aufmerksammacher für jene unbeabsichtigten akustischen Ereignisse, die ins Bewusstsein gelangten und die sonst durch Geräusche übertüncht worden wären. Die Ausdrucksweise der Stille signalisierte zugleich die Absage an bestehende gesellschaftliche Raster und ist ein Kunstmittel. Der stillhaltende Akteur, in diesem Fall Otto Beck, verlieh dem Innehalten eine höhere Bedeutung und verwies darauf, dass in der Stille mehr entsteht als geglaubt. Auch das Korn reift nur in der Stille. Mit diesem Musikstück von John Cage wurde bewusst gemacht, dass jegliche Spannung eines Musikstückes durch Pausen, also Stille, erreicht und damit Erhabenheit animiert wird. Durch die Stille wurde die ZuhörerInnenschaft plötzlich zu einem Faktor von sonst unreflektierten und überhörten Geräuschen. 1956-1958 unterrichtete Cage an der New Yorker School for Social Research u.a. experimentelle Komposition und nahm nicht nur musikalisch vorbelastete Studierende auf, sondern jeden, der Interesse zeigte. Der „große Befreier", wie ihn George Brecht (1926-2008) bezeichnete, war ein sehr bemühter Lehrer und seine Studentinnen konnten sich mit allen Problemen an ihn wenden. Sein offenes Lehren animierte sie, und Dick Higgins sagte über seine Lektionen: „Ich machte (Anm.: bei Cage) immer zwei Dinge: Genau das, was John Cage mir sagte und genau das Gegenteil von dem!"
' Gerhard Jaschke, Über Fluxus und Joe Jones, Freibord Nr. 23, Wien 1981, S. 64. = Gerhard Jaschke, Über Fluxus und Joe Jones, Freibord Nr. 23/1981, Wien 1981, S. 64.
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Dies weist aber auch das Problemfeld hin, das Cage und seine intermedialen Übungen betraf. Dick Higgins berichtet: „Cage litt darunter, dass er den Ausführenden ein so großes Maß an Freiheit gegeben hatte, und diese dies missbrauchten und Unordnung schufen. Er spekulierte mit der Spannbreite zwischen Akzeptanz und Kontrolle und lenkte seine Überlegungen Richtung Vertrauen."' Jedenfalls wurden in den Vorlesungen viele Freundschaften zwischen jenen geschlossen, die später FLUXUS gründen sollten, und Ausgangspunkt waren medial grenzüberschreitende Mikrodramen, teilweise Stegreif-Improvisationen, die „eventpieces" genannt wurden. Diese wurden an Wochenenden in umliegenden Kaffeehäusern und Wirtshäusern aufgeführt. Ein Stück, das John Cage komponierte und ihn mit Österreich verbindet, ist die „Zufallkomposition" „I Ging", die er dem Wiener Neustädter Komponisten Josef Matthias Hauer (1983-1959) widmete. Durch Einbeziehung des Zufallprinzips und der Aleatorik erschloss er der Musik neue Dimensionen. Angeführt sei hierbei auch das Stück von Dick Higgins „Der fetteste Mann der Welt, New York", verfasst 1963: Dabei spielt eine beliebige Anzahl von SpielerInnen nur die jeweils vier oder fünf tiefsten Töne ihrer Instrumente in üblicher Form. Auf ein Zeichen begann das Spiel, und jeder spielte, was er wollte. Auf ein Zeichen endete dann die Aufführung.' Irritierend war dies schon! Aber, obwohl FLUXUS seit 1962 immer wieder totgesagt wurde, lebt FLUXUS. Denn verblichen sind nur die KünstlerInnen wie Joseph Beuys, (1921-1986), Robert Filou (1926-1987), Wolf Vostell (1932-1998), Dick Higgins (1938-1998), Christine Jones (1944-2017) u.a., aber nicht die Idee, da FLUXUS unabhängig von der Entität jener existiert, die FLUXUS gründeten und lebten.
Was FLUXUS ist:
FLUXUS ist keine Bewegung, verfolgt keinerlei Stilismen, ist eine mögliche Lebensart, präsentiert Paradoxien und ist der Antipode jener determiniert ästhetischen Äußerung, die auf Nachahmung und der Wiederholung einmal ästhetischer Erfahrungen beruht und nicht das „Denkschöne" anregt. Dann ist das, was als „Kunst" firmiert, nur beliebig handelbare Ware die einer gesellschaftlichen Konvention genügt. Diese inhaltsleeren Nachahmungen, das So-tun-als-ob, füllt längst die Galerien und bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass Bildwerke hochpreisiger Marktleader zumal nur der müde Abklatsch anderer oder selbstwiederholender Attitüden des „Einmal-Erfolg-gehabt-Habens" sind. Das Wesen von FLUXUS beruht aber auf Denkanregungen, die sich eventuell auch der Kausalität entziehen können. FLUXUS wurzelt in der Romantik und im geistigen Feld des Dadaismus, aus dem auch der Wiener Aktionismus erwuchs, der
Dick Higgins in „Fluxworkers", Vernissage 9/89, Wien, Hg. von BrodMedia GmbH, Wien 1989, S. 47. 4Fluxus in Freibord, Nr. 73, Hg. von Gerhard Jaschke, Wien, S. 48. The Monthly Review of the University for Avantgarde Hinduism, Hg. von Nam lune Paik, Fluxus-Publikation, Essay über die neue Ontologie der Musik.
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mit Fug und Recht FLUXUS zugeordnet werden kann. Dessen Aktionen belebten und konfrontierten in den 1960er und 1970er Jahre die Wiener Kulturszene — auch den Studenten Otto Beck. Doch in Wien firmierte damals der Aktionismus als „Happening", „Materialaktion" oder als „Zock", aber noch nicht unter dem Dachbegriff FLUXUS. Zu verstehen ist der Wiener Aktionismus als barockes, manchmal pathologisch determiniertes Spektakel, das sich wissenschaftlich durch die Theorie von Wilhelm Reich (1897-1957) zu legitimieren suchte und durch Redundanz nicht wirklich besser wurde, zumal sich die Geistigkeit, aber auch der Humor zu Ungunsten von Provokationen verabschiedete. Bei Otto Mühl (1925-2013) und den Seinen gedieh der Aktionismus zu einer sektenartigen Ideologie, die auch Kinder nicht verschonte. Seine Aktionen wurden zunehmend zotiger und derber. Hermann Nitsch (1938-2022), ein anderer Mitstreiter, hüllte sich bei seinen Aufführungen inhaltlich zuletzt in die Pluviale barock anmutender Voodoo-Hochämter. Einzelnen Wiener Aktionisten waren zumal auch pathologische Züge eigen, wenn z.B. heimliche (artifizielle) oder offene Selbstverstümmelungen („deliberate self harm syndrome") stattfanden. Gemäß Erkenntnissen der Psychopathologie kommt es durch starken Leidensdruck und eine dramatische Lebensgeschichte zu solcherart Interaktionen. Anamnestisch ist festzustellen, dass bei einem hohen Prozentsatz der Betroffenen eine schwierige Kindheit mit Störungen in der frühen Entwicklungsphase oder einschneidende seelische Erschütterungen zu eruieren sind.' Doch die Aufregung um die 1962 stattgefundene „Einmauerung", eine Performance, die im Wiener Perinet-Keller passierte, die Zertrümmerung eines Klavieres im Saal des Wiener Porrhauses, heitere Knödelschlachten, wie sie u.a. 1967 im Wiener Gasthof „Grünes Tor" stattfanden, die als „Materialaktion" benannten mehlstaubenden Gänsefeder-Abstrusitäten im Saal des Wiener Porrhauses, aber auch die Aktion im Großen Hörsaal der Universität, die in der Presse als „Uniferkelei" kolportiert wurde, samt den originellen Performances von Valie Export (*1940) und Peter Weibel (*1944) verfehlten nicht ihre Wirkung und aktivierten das „Für und Wider" — auch international. Einer der interessierten Beobachter war auch Otto Beck, der damals an der Akademie der bildenden Künste Wien in der Meisterklasse von Anton Lehmden studierte. Hinweise zu FLUXUS erhielt Otto Beck durch die begnadete Blues- und Jazz-Sängerin und bildende Künstlerin Christine Jones (1944-2017), die aus Berlin nach Wien übersiedelt war, um ihr Diplomstudium der Kunsterziehung zu beenden und gemeinsam mit Dr. Peter Schrammel die Wiener KUNSTKANZLEI, die wichtigsten österreichischen Fluxusheimstatt gründete. Sie war Otto Beck der theoretische Schuhlöffel zu FLUXUS und machte
'Siehe:https://www.rosenfluh.chimediaidermatologie-aesthetische-medi-zin/2013/02/Psvchodermatologie.pdf, erstellt: 18. 10. 2022
ihn mit zahlreichen Fluxisten bekannt. Jedenfalls lernte er durch FLUXUS sich über das an der Akademie Erlernte hinwegzusetzen, um dem Schöpferisch-Ekstatischen unmittelbaren Raum zu geben. Er realisierte bei Events unkonventionell Neues — auch im Zusammenhang mit Musik, Museumstallationen, Performances und filmischen Eskapaden. In der Malerei verließ Otto Beck die klassische Feinmalerei und gab sich zunehmend dem hin, was als postexpressionistische Ausdrucksmalerei bezeichnet wird — ohne Ausklammerung des Figurativen. Während seines Studiums wurde er nicht nur mit der Malerei der „Wiener Schule" konfrontiert sondern auch mit jenen Malern, welche in den 1980er Jahren " Junge Wilde "genannt wurden, die einer sarkastischen, ironischen, grellfarbigen, subjektiven und unbekümmerten Kunstideologie folgten. Dorthin ist also die Malerei von Otto Beck zuzuordnen, der als FLUXIST und Maler Bedeutendes schuf. Er arbeitet methodenübergrei-fend, und keine ästhetische Intervention ist ihm fremd. Sein Tätigkeitsbereich erstreckt sich auf Malerei, Mode, Architektur, Theater, Klang, Film, Installationen und Performances. Er ist ein anerkannter Interartkünstler besonderer Art, der ungemein konzentriert arbeitet. Da schottet er sich ab.
Otto Beck und der Umkehrschub
Otto Beck ist einer jener Kunstschaffenden, die sich verbindlich schlüssigen Antworten entziehen. Er beantwortet Fragen immer mit Gegenfragen. Trotz seiner vielen Fragen kann man ihn nicht als analytischen Künstler bezeichnen. Eher birgt das von ihm Getane und Gesagte eine antwortlos unkonventionelle Lösungsferne. Er legt nicht dar, sondern pflügt mit Worten seine ästhetische Welt so, dass sich die Geisteskrumen seiner Pflugschar zu keinem nachvollziehbaren Gedankengebäude schachteln. Vielmehr hebt er, kraft unkoordinierter Gedankensprudel, ab, verschwurbelt möglich Verbindliches, weicht gestellten Fragen aus und lässt Essenzielles gleich schillernden Seifenblasen in ungefragter Belanglosigkeit platzen. Auf Fragen reagiert er geheimniskrämernd ausweichend, bremst durch Wortschwall Gesprächs-partnerinnen aus, extemperiert, hüllt sich als empathischer Fludriwutsch, als wortklauberischer Funkenschlager in Worthülsen, reißt Gespräche mit rhetorischem Umkehrschub an sich, widersetzt
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sich Folgerungen und argumentiert dann atemberaubend fluxistisch: sprunghaft stroboskopisch. Als empathischer Mensch mit Stil inszeniert er sich als modische Marke und hat sich, ähnlich Joseph Beuys, dem deutschen Stammvater der FLUXUS-Bewegung, durch sein permanentes Huttragen ein unverkennbares Accessoire zurechtgelegt, mit dem er der bürgerlichen Vorstellung des Mythos „KünstlerIn" genügt. Durch eine wohlstrukturiert schriftliche Selbstspiegelung im Katalog wurde schlussendlich sein ästhetisches Wollen fassbarer.