Otto Beck hat einer neue Serie von Arbeiten den Titel „Stroboskopisch" gegeben. Diese Bezeichnung ändert nicht Thema oder Inhalt seiner Bilder, sehr wohl aber die Form der vom Künstler intendierten Wahrnehmung. Es ist eine Rezeptionsanweisung an uns, die Objekte seiner Bilder in einer bestimmten Weise zu lesen. In einem Bild mit einem rötlichem Quadrat im unteren Bildteil und einer darüber liegenden horizontalen Anordnung mehrerer Zitronen werden aus diesen plötzlich die Flugphasen einer Zitrone, die, ähnlich den bekannten stroboskopischen Aufnahmen der Flugbahn einer Gewehrkugel, durch das Bild zu fliegen scheint. Aus einem statischen Bild entsteht im Bewusstsein des Betrachters eine Bewegung, die den Aufbau des Sujets dynamisch werden lässt. Der gelb - rot gestreifte Hintergrund lässt sich nun als Raster lesen, wie er in entsprechenden technischen Fotografien als Referenz für die Bestimmung der Geschwindigkeit dient. Doch nicht der inhaltliche Aspekt dieser Bedeutungsveränderung interessiert hier, sondern vielmehr der kunst-und wahrnehmungsgeschichtlich Verweis auf die „stroboskopische Sichtweise". In seinen neuen Arbeiten vollzieht Otto Beck auf der Makroebene eines Bildes einen Vorgang, der in der Kunstgeschichte seit dem Beginn des .vorigen Jahrhunderts als „Entmachtung des menschlichen Auges" und „stroboskopische Zersplitterung des festen Blickpunktes" (vgl. Heft 1/1996 der Zeitschrift „Kaleidoskopien", Leipzig, Hefttitel „Stroboskop. Die Zersplitterung des festen Blickpunkts") beschrieben wurde. Für das Stroboskop gibt es einen interessanten lokalen Bezug zu Otto Beck. Es wurde von einem Bauernsohn aus dem damals salzburgischen Matrei (heute in Osttirol) erfunden. Simon Stampfer, 1790 in ärmlichen Verhältnissen geboren, bekam in Salzburg seine weitere Ausbildung und erreichte hier eine Professur, bevor er nach Wien an das Polytechnischen Institut ging. Dort entwickelte er 1832 die „stroboskopische Scheibe" oder das „Lebensrad", wie es auch genannt wurde. Auf einem Rad werden einzelne fortlaufende Bewegungsphasen aufgezeichnet oder aufgemalt. Durch ausgestanzte Schlitze in einem zweiten gegenläufigen Rad entsteht durch den zerhackten Blick auf die einzelnen Bewegungsphasen der Eindruck einer kontinuierlichen Bewegung. Dieser stroboskopische Effekt, der Grundlage der Filmkamera und des Filmprojektors ist, wird in erster Linie als Vorläufer des Massenmediums Film angesehen. Simon Stampfer selbst ahnte von diesem Nachruhm noch wenig. Seine „stroboskopische Zauberscheibe" kam als Kinder-und Volksbelustigung beim Verlag Trentsendky in Wien heraus. Diese Entdeckung hatte damit ein ähnliches Schicksal, wie gleichzeitig zahlreiche ähnliche Erfindungen zur Bewegungssimulation in ganz Europa, etwa der „Phantasmascope-Scheibe" des Belgiers Joseph Plateau. Doch so sehr diese „philosophischen Spielsachen" - wie sie auch hießen - einerseits das Spiel- und Wunderbedürfnis einer Epoche erfüllten, waren sie vor allem Entwicklungsstufen auf dem angestrebten Ziel einer realistischen Bewegungsdarstellung. Und wie so oft ging neben der technischen Vervollkommnung der Bewegungsdarstellung im Film, der erst 1895 tatsächlich einsatzbereit war, ein anderer viel wesentlicher Effekt scheinbar unbemerkt nebenher: die Veränderung unseres Weltbildes. Die Zentralperspektive der klassischen Malerei begann mit der Kenntnis dieser Zauber- und Wunderscheiben und ihrer Möglichkeit der veränderten Wahrnehmung zu zerbröckeln. Im folgenden Jahrhundert urteilte der Apologet der technischen Bildwahrnehmung Walter Benjamin über diese „philosophischen Spielsachen" des 19. Jahrhunderts: „So unterwarf die Technik das menschliche Sensorium einem Training komplexer Art." Ausgelöst wurde dieses von Benjamin beschworene unbewusste Training der Wahrnehmung durch einen wahrnehmungspsychologischen Effekt, dessen erste Beschreibung nochmals einige Jahrzehnte zurückgeht: den Nachbildeffekt. Infolge der Trägheit des Auges bleibt der Netzhauteindruck eines Bildes etwa eine zwanzigstel Sekunde weiter bestehen, sodass bei der schnell aufeinander folgenden Präsentation von statischen Bewegungsphasen der Eindruck einer Nachbild neben seiner Anwendung im Film einen interessanten kunsttheoretischen Aspekt: die Erforschung des Nachbildeffektes richtete das Interesse der Zeitgenossen weg vom äußeren Bild hin auf die Fähigkeiten des Wahrnehmungsorgans selbst. Oder allgemeiner gesprochen, auf das Subjekt der Wahrnehmung. Der Betrachter eines Bildes wird Teil seiner Interpretation, in der Rezeptionsästhetik ist gar ein Kunstwerk unabhängig vom betrachtenden Subjekt nicht mehr denkbar. Der medizinische Nachweis der Trägheit der Retina gelang Dr. Peter Mark Roget erst 1924 und dies war der Auslöser zahlreicher Erfindungen zur menschlichen Bildwahrnehmung. In gewisser Weise hat dieses Interesse an der Wahrnehmung bis heute kein Ende gefunden, wenn man sich etwa im Internet Jodis „Flickermaschinen" ansieht (vgl. die Homepage http://asdfg.jodi.org/) oder einige Jahre früher die noch mechanisch funktionierenden „dreamachines" von lan Sommerville und Brion Gysin (1960). In diesen und ähnlichen künstlerischen Werken und Wahrnehmungsexperimenten wird der Nachbildeffekt und der auf diesem aufbauende stroboskopische Effekt zum ästhetischen Programm erhoben. Es werden in diesen Arbeiten keine Fragen nach dem Inhalt gestellt, sondern Untersuchungen über die Wirkung auf den Betrachter angestellt. Der Rezipient ist wechselweise Subjekt und Objekt der Betrachtung. Otto Beck hat sich bereits in früheren Arbeiten mit Wahrnehmungsexperimenten und dem Film auseinander gesetzt. Seinem Metier als bildender Künstler und Maler entsprechend war es immer wieder das Verhältnis von stehendem Bild und Bewegung, das ihn interessierte, wie etwa in der Endlosschleife eines Films, der in seiner ständigen Repetition wie ein statisches Bild gelesen werden kann. Die neue Werkgruppe „Stroboskopisch" kehrt diesen Zusammenhang um, indem in ein „klassisches" Tafelbild das Element der Bewegung eingeführt wird. Doch diese Bewegung ist kein immanenter Bestandteil des Bildes. sondern eine Rezeptionsleistung des Betrachters, die durch den Künstler und die Wahl der visuellen Organisation des Bildes eingefordert wird. In Kenntnis der kulturhistorischen Bedeutung des stroboskopischen Prinzips und auf dem Hintergrund unzähliger fotografischer Bewegungsstudien von Marey und Muybridge bis zu den Serienaufnahmen von Crashtests, die uns die Automobilindustrie als Beweis ihrer erfolgreichen Sicherheitsbemühungen präsentiert, verfügen wir heute über ein großes visuelles Wissen um stroboskopische Aufnahmen. Otto Beck macht, sich dieses unentrinnbare Bildgedächtnis zunutze, wenn er mehr oder weniger verschlüsselt solche Bildelemente in seine Arbeiten einbaut. Der Pinguin, der wie auf einem Filmstreifen durch das Bild schwebt, wird so zu einer weiteren, dynamischen Dimension dieses Bildes. Doch Otto Beck geht einen Schritt weiter: er fällt aus dieser filmischen Bildsymbolik heraus, bricht sie, indem er den Pinguin auch noch außerhalb seiner „Bahn" auftauchen lässt - ein Betrachter seines eigenen Auftritts. Wenn er schließlich neben anderen Objekten auf einer Reihe von Stühlen zu sehen ist, so erinnert diese Anordnung an andere „philosophische Spielsachen", wie das Thaumatrop. Bei diesem Gerät, das 1925 erfunden wurde, wird die Kluft zwischen Wahrnehmung und Objekt deutlich, weil beispielsweise auf einer Seite einer rotierenden Tafel ein Tisch, auf der anderen eine Blumenvase aufgemalt ist. Durch rasche Drehung entsteht der Eindruck, dass die Vase auf dem Tisch steht. Stühle, Pinguin und Blumenvase auf dem oben besprochenen Bild Otto Becks könnten das Ergebnis einer solchen Bildverschmelzung sein. Selbstverständlich geht es heute nicht mehr um Wahrnehmungsexperimente, sondern vielmehr um das Zitieren dieser kulturhistorischen Entwicklung. Damit wird der Vorhang vor einer großen Perspektive aufgezogen, hinter der sich die Entwicklung zeitgenössischer Malerei und der Einfluss der technischen, bildgebenden Medien (so wie Vifem Flusser sie verstanden hat) untersuchen lässt. Wo Marcel Duchamp mit seinen berühmten Gemälden stroboskopischer Wahrnehmungserfahrung („Akt, die Treppe hinuntersteigend" aus dem Jahr 1912, um nur das bekannteste zu nennen) noch sehr genau die fotografische Vorlage treffen musste, um von den Zeitgenossen verstanden - oder besser: in einem Skandal missverstanden - zu werden, kann der bildende Künstler heute mit wesentlich flüchtigeren Anleihen auskommen und sich dennoch der Thematik der Befreiung und Mobilisierung der Wahrnehmung, des Perspektivwechsels in der Simultanität des Tafelbildes widmen. Otto Beck hat diese Ausflüge mit seiner neuen Bildserie "stroboskopisch" begonnen.